Juni 2021

Fatales Grundrecht und tödlicher Lobbyismus

Amerikas Waffenkultur

Hannah Metzker (20) studiert Geschichte und Politikwissenschaft

Am 20. April 1999 wurden zwölf Schüler*innen in der Columbine High School (Colorado, USA) erschossen. Bei einem Massaker am 1. Oktober 2017 in Las Vegas verloren 60 Menschen ihr Leben. 49 Menschen starben bei einer Massenerschießung am 12. Juni 2016 in einem Schwulen-Club in Orlando (Florida). Am 14. Februar 2017 wurden 17 Menschen bei einem Massaker in der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland (Florida) erschossen. Alleine im Jahr 2019 kamen in den USA 15 208 Menschen (www.gunviolencearchive.org) durch Schusswaffen ums Leben. Aber warum scheinen die Amerikaner so besessen von den Schusswaffen zu sein und wieso weigern sich US-Politiker*innen strengere Waffengesetze festzulegen?  

 

© NBC News

 

Der Begriff der „Waffenkultur“ ist für die Vereinigten Staaten mehr als zutreffend. Denn die Schusswaffe bedeutet dem durchschnittlichen Amerikaner (weiß & patriotisch) weitaus mehr als wir uns das in Europa vorstellen können. Als sich Überlebende der Massenschießerei an der High School in Parkland für strengere Waffengesetze einsetzten und dafür sogar auf die Straße gingen und große Proteste veranstalteten, trafen sie immer und immer wieder auf dasselbe Gegenargument: im zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung ist das Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen festgeschrieben. Dass die amerikanische Verfassung mit dem Entstehungsjahr 1787 möglicherweise ein bisschen überholt ist und dass es vielleicht auch keine schlaue Idee ist, jedem Menschen vollkommen unkontrolliert den Zugang zu einer oder mehreren Schusswaffen zu geben, wird von den US-Patriot*innen nicht hinterfragt. So kommt es, dass in den USA aktuell ca. 260 Millionen zivile Schusswaffen in Gebrauch sind (bei 328 Millionen Einwohner*innen).  

Doch wer profitiert von so vielen Schusswaffen? Eigentlich wären bei dieser Anzahl an Massakern strengere Waffengesetze die einzig logische Schlussfolgerung. Warum sträuben sich die Machthaber der Vereinigten Staaten (und zwar sowohl republikanische, als auch demokratische) so massiv gegen Waffengesetze? Die Antwort ist einfach: Geld, Geld und noch mehr Geld. Denn hinter den ganzen Waffen steht eine Organisation, die National Rifle Association (NRA). Diese Organisation betreibt Lobbyismus, das bedeutet, dass sie versuchen, politische Entscheidungsträger dazuzubringen, die Interessen der NRA (möglichst viele Waffen zu verkaufen) in politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die NRA betreibt nicht nur Lobbyismus, sondern unterstützt Politiker beziehungsweise politische Parteien auch finanziell. In einem Artikel des BBC aus dem Jahr 2020 wird vermutet, dass die NRA jährlich drei Millionen Dollar ausgibt, um die Waffen-Politik zu beeinflussen. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 hat die NRA sogar 54 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um die Kontrolle der Republikaner über das Weiße Haus (und somit den Wahlsieg von Donald Trump) zu garantieren, heißt es in einem Artikel von The Guardian. Solange die NRA Lobbyismus betreibt und großzügige Parteispenden macht, werden sich die Waffengesetze in den USA wohl kaum ändern. Egal, wie viele Menschenleben dabei zu Schaden kommen.    

© pexels.com Todd Trapani

Es ist allerdings Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Denn zu Beginn dieses Jahres meldete die NRA Insolvenz an. Ihnen geht das Geld aus, denn die Coronakrise macht offensichtlich auch um die größten Waffennarren dieser Welt keinen Bogen. Wie sich die Pleite der NRA auf die politischen Entscheidungen zum Thema Waffengewalt auswirken wird, muss sich erst zeigen. Erste wenn auch sehr kleine Schritte gibt es allerdings: nach dem es im April 2021 wieder zu einigen Massenschießereien kam (FedEx Shooting in Indianapolis: neun Tote, Rock Hill Shooting in South Carolina: sechs Tote, …), kündigt der neue Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, erste Veränderungen an. Ende April befahl er dem Justizministerium eine Vorschrift zu entwickeln, die die Verbreitung von Geisterwaffen (selbstgemachte Waffen, die man einfach im Internet kaufen kann) erschweren soll. Das klingt für unsereins zwar ziemlich absurd und ist nur ein winzig kleiner Schritt um das Waffenproblem in den USA zu lösen, aber immerhin ist es ein Schritt in die richtige Richtung.  

Für viele Amerikaner*innen ist die Waffe ein Teil der eigenen und der nationalen Identität. Es ist deshalb fraglich, ob die vorherrschende Waffenkultur (ich darf an die 260 Millionen zivilen Schusswaffen erinnern) mit einigen Gesetzen in den Griff zu bekommen ist. Wenn überhaupt, wird das vermutlich noch sehr lange Zeit dauern. Bis dahin wird es den Menschen in den USA nicht möglich sein, ihre Kinder mit dem Wissen in die Schule zu schicken, dass sie da auch lebend wieder hinauskommen.  

Lobbyismus: Gesellschaftliche Interessensgruppen versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen, damit diese ihre Interessen bei politischen Entscheidungen vertreten.