Dezember 2021

Fitnesswahn statt Magerwahn

Hannah Metzker (20) studiert Geschichte und Politikwissenschaft

Fitness- und Body-Transformation Videos findet man aktuell überall – egal ob auf Instagram, TikTok oder YouTube. Kombiniert mit gut gemeinten Lifestyle-Tipps für den „gesunden“ Alltag hat sich damit schon so mancher Social-Media-Influencer und so manche Social-Media-Influencerin einen Groschen dazuverdient. Aber woher kommt der (mittlerweile nicht mehr ganz so) neue Trend zum allzeit durchtrainierten Körper? Und ist das wirklich so viel gesünder als der Magerwahn, den der Fitnesswahn abgelöst hat?

 

„BURN 1000 CALORIES With This 60 Minute Cardio HIIT Workout”

1000 verbrannte Kalorien in einer Stunde? Das klingt für mich schon beim Lesen des YouTube-Video-Titels ziemlich stressig – und auch ziemlich unmöglich. Ich klick trotzdem drauf, schon nach 10 Minuten habe ich genug, und zwar nur vom Zuschauen. Ich wechsle in die Kommentarspalte: „I burned 554 calories, would have to do the workout twice to burn 1000 calories.” schreibt ein User. “I only burned 300-400 calories” schreibt eine weitere Zuschauerin. „HA - Wusst ich’s doch!“ denke ich mir. Weil mir die Bestätigung meiner Vermutung aus YouTube- Kommentaren rein wissenschaftlich noch nicht zufriedenstellend erscheint, fange ich an zu recherchieren. Nach einiger Zeit Stöbern auf den Websites mehr oder weniger seriöser Sportmagazine bekomme ich kaum hilfreiche Antworten, sondern noch mehr offene Fragen: Warum sind so viele Menschen momentan so fanatisch damit beschäftigt ihren Körper zu täglichen Höchstleistungen anzustiften?

©youtube.com

 

Fitness – Körperkult der modernen Zeit

Die Fitnessbranche boomt. Egal ob bei Crossfit-Training im Fitnessstudio um die Ecke oder beim HIIT-Workout im eigenen Wohnzimmer, Selbstoptimierung und Disziplin sind die heiligen Güter der modernen Gesellschaft. Es geht darum, sich selbst etwas zu beweisen. Es ist keine Frage, dass das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil und einen fitten Körper eine positive Entwicklung der vergangenen Jahre und eine willkommene Ablenkung von „Thigh Gap“- und „A4 Waist“-Magertrends war. Körperliche Bewegung kann laut Untersuchungen der WHO Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen und chronische Erkrankungen mildern. Außerdem sinkt die Verletzungsgefahr (vor allem im hohen Alter) durch das Trainieren von motorischen Fähigkeiten. Das Argument der Gesundheit findet man auf Social Media jedoch eher selten, denn dort überragen erfahrungsgemäß eher nur oberflächliche Argumente.

Aber auch hier macht die Dosis das Gift. Viele Jugendliche, die diesen Fitness-Trend mitmachen, verspüren nicht nur den Drang nach einem gesunden Körper, sondern auch einen immensen Druck, den Ansprüchen, die sie tagtäglich auf unterschiedlichsten Social-Media-Kanälen sehen, gerecht zu werden. Was würde man nicht alles dafür tun, um so auszusehen wie die Lieblings-Fitness-Influencerin oder der Lieblings Fitness-Influencer auf Instagram? Und das ist ein Problem. Denn dann möchte man sich nicht nur selbst etwas beweisen, wie ich vorhin bereits erwähnt habe, sondern bekommt auch das Gefühl, ständig allen anderen etwas beweisen zu müssen. So wird aus einer gesunden Entwicklung ganz schnell eine gefährliche Obsession.

©pexels.com Leon Ardho©pexels.com Leon Ardho

 

Die trügerische Scheinwelt der Fitness-Influencer*innen

In einer Gesellschaft, in der sich ein Großteil des alltäglichen Lebens online abspielt, haben Soziale Medien und die Menschen, die in diesen Sozialen Medien eine breite Masse ansprechen, eine enorme Macht und einen großen Einfluss auf (vor allem junge) User*innen dieser Plattformen. Das ist keine bahnbrechende Neuigkeit und wird von wissenschaftlichen Studien unterstützt, wie beispielsweise von der eines Teams an der Florida State University, das bereits 2013 herausgefunden hat, dass die Wahrscheinlichkeit an einer Essstörung zu leiden umso größer ist, desto mehr Zeit eine Person in sozialen Netzwerken verbringt.[1] Neben ihrem großen Einfluss hat Social Media noch eine weitere Eigenschaft: es ist billig. Wohl kaum ein privater Trainer oder eine private Trainerin wird einem ein Workout um denselben Preis zusammenstellen, wie die Influencer*innen auf Instagram und YouTube. Dementsprechend ist es gerade bei Jugendlichen verständlich, wenn sie sich lieber im Netz Fitness-Tipps holen. Die meisten Profiteure solcher Plattformen sind sich ihrer Macht zweifelsohne auch vollkommen bewusst und nutzen sie für ihre eigenen Vorteile.

Meiner Meinung nach gibt es zwei unterschiedliche Formen von „schlechten“ Fitness-Influencer*innen. Einerseits gibt es diejenigen, die sich online zwar als Fitness-affin ausgeben, in Wahrheit aber nur durch Schönheitsoperationen und Photoshop den Körper erreichen, den sich dann junge Mädchen und Burschen als Idealbild in den Kopf setzen. Mal ganz abgesehen von dem negativen Einfluss, den diese Influencer*innen durch das Verheimlichen ihrer Schönheitsoperationen und Nachbearbeitungen ihrer Fotos auf ihre Community haben, sind viele dieser Operationen auch durchaus gefährlich. Erst vor kurzem beispielsweise starb eine mexikanische Fitness-Influencerin an den Folgen einer Beauty-OP., die ihre Schweißbildung reduzieren sollte.[2] Zusätzlich wird bei dieser Form von „schlechten“ Influencer*innen durch Lichteinfall und Posen eine fälschliche Wahrnehmung des Körpers auf Instagram-Bildern weiter verstärkt. 

Andererseits gibt es Fitness-Influencer*innen, die vollkommen ungefiltert zwar gut gemeinte und ehrliche, aber leider falsche und unter Umständen auch gefährliche Tipps anbieten. Das betrifft meist spezielle Übungen in den Workouts, wie beispielsweise die „Kettlebell Swings“, deren falsche Ausführung zu schweren Verletzungen der Lendenwirbelsäule führen können.[3] Umso wichtiger wäre es also, Workouts auf YouTube oder Instagram nicht einfach nachzumachen, sondern sich im Vorfeld über die Übungen – im Idealfall mit einer*m Physiotherapeuten*Physiotherapeutin oder einer*m Orthopäden*Orthopädin – zu informieren.

Ein wichtiger Punkt muss an dieser Stelle noch erwähnt werden. Mit Sicherheit findet man auf Instagram und Co. auch echte Fitness-Influencer*innen, die ihre Workouts mehrmals wöchentlich machen, sich stets gesunde Snacks und Mahlzeiten zusammenstellen und auf ihre Kalorienzufuhr achten und dadurch einen gut durchtrainierten Körper haben. Dabei darf man als Normalsterbliche*r allerdings nicht vergessen, dass das selbst bei diesen Influencer*innen nur funktioniert, weil sie – aufgrund der Werbeeinnahmen durch ihre Social Media Kooperationspartner – das Privileg haben, ihren gesamten Alltag auf ihren Fitness-Lifestyle auszurichten – das Leben wird an den Trainings- und Ernährungsplan sowie die Fitness-Studio-Besuche angepasst. Ein solcher Lebensstil ist schlichtweg nicht für jeden machbar. Sich dies als Ideal zu nehmen und davon auszugehen, dass das ganz einfach neben Schule, Uni und Arbeit schaffbar ist, ist eine utopische Vorstellung.

 

Selbstakzeptanz über Selbstoptimierung

Das falsche Bild, das Fitness-Influencer*innen von sich selbst, ihrem Lifestyle, aber vor allem von ihrem Körper auf Instagram und Co. projizieren, führt bei Jugendlichen zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Während Selbstzweifel und Unsicherheit wohl schon immer, für junge Menschen aller Generationen Teil des Erwachsenwerdens war, wurden diese Probleme gerade in den letzten Jahren durch die Sozialen Medien deutlich verschlimmert. Denn die Anzahl an (vor allem weiblichen) Jugendlichen, die an Dysmorphophobie – also einer psychischen Störung, die sich durch eine stark veränderte Selbstwahrnehmung äußert – leiden, nimmt stetig zu.[4] Und nicht nur das. Auch Sportsucht wird zunehmend zum Problem in der Gesellschaft. Abgesehen davon, dass bei einer Sportsucht auch die Gefahr für Verletzungen steigt, führt es bei Betroffenen auch zu Depressionen und Angst- beziehungsweise Panikattacken.[5] Genau an diesem Punkt wird der anfangs „gesunde“ Trend zu einer gefährlichen Obsession.

Es ist schwer zu sagen, was man gegen diesen zum Großteil virtuellen und doch so realen Körperkult unternehmen kann. Mit Sicherheit würde es niemandem auf dieser Welt schaden, ein bisschen weniger Zeit in der Social-Media-Bubble, und ein bisschen mehr Zeit in der realen Welt zu verbringen. Umso schneller würde man vermutlich erkennen, dass auch der Fitness-Trend – wie viele Trends vor ihm – eher Utopie als Wirklichkeit umfasst und nicht mehr ist als genau das: Ein Trend, der wieder vorbeigeht und für den es sich nicht lohnt, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

 

Quellen:

[1] https://news.fsu.edu/news/health-medicine/2014/03/05/hungry-likes-study-finds-frequent-facebook-use-linked-eating-disorder-risk/

[2] https://www.gala.de/stars/news/odalis-santos-mena--junge-fitnessinfluencerin-stirbt-waehrend-beauty-eingriff-22476150.html

[3] https://vc.bridgew.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1164&context=honors_proj

[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7114025/

[5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5386595/

https://www.researchgate.net/publication/322991455_Exercise_addiction_in_adolescents_and_emerging_adults_-_Validation_of_a_youth_version_of_the_Exercise_Addiction_Inventory

https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/ernaehrung-lebensweise/wie-viele-kalorien-braucht-man-am-tag

https://www.gesundheit.gv.at/leben/bewegung/koerper/nutzen-vorteile

https://wienerin.at/magertrends-auf-instagram

https://www.dorfner-kocht.de/fitness-hype-muskeln-statt-magerwahn/

https://www.deutschlandfunkkultur.de/fitness-zwischen-koerperkult-und-optimierungswahn-wir.966.de.html?dram:article_id=479478

www.sowhat.at

https://www.derstandard.at/story/2000100376623/die-fake-welt-der-fitnessgurus-auf-instagram