Juni 2022

Історія України.

Die Geschichte der Ukraine.

Hannah Metzker (21) studiert Geschichte und Politikwissenschaft in Wien

„Die heutige Ukraine wurde voll und ganz und ohne jede Einschränkung von Russland geschaffen […]“ – mit diesen Worten richtete sich der russische Staatspräsident Wladimir Putin am 21. Februar 2022 an die Bürger*innen der Russischen Föderation. Seitdem befindet sich die Ukraine (wieder) im Kriegszustand. Mehrere Millionen Menschen sind auf der Flucht, Existenzen wurden zerstört und unzählige Zivilist*innen wurden Opfer grausamer Gewaltverbrechen. All das legitimiert Putin mit seiner – nicht sonderlich pragmatischen – Interpretation der Geschichte des Landes. Doch wie konnte es so weit kommen?

Dass der russische Staatspräsident der Ukraine ihre Legitimität als eigenständige Nation absprechen will – und dabei auf militante Art immer wieder rhetorische Brücken zur Entnazifizierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg baut – ist keine Neuigkeit. Bereits 2014 soll er gegenüber dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten gesagt haben, dass er Kiew gegebenenfalls in zwei Wochen einnehmen könnte (Spoiler alert: nein, kann er nicht). Schon davor kriselte es in der russisch-ukrainischen Beziehung gewaltig: Seit Beginn seiner Präsidentschaft im Jahr 2000 hatte Putin stets ein Problem mit politischen Annäherungen zwischen der Ukraine und der „westlichen“ Welt. Krieg herrscht in der Ukraine nicht erst seit dem Februar 2022, sondern bereits seit 2014. Damals nahmen russische Truppen die ukrainische Halbinsel Krim gewaltvoll ein. Während dahinter zwar auch politisch und wirtschaftlich strategische Motive stecken, hatte dies vor allem auch historische Ursprünge.

© Peter Hermes Furian

Eine junge Nation.

Als eigenständiger Nationalstaat ist die Ukraine noch relativ jung: Bis 1991 gehörte sie zur Sowjetunion und wurde somit von kommunistischen Politikern kontrolliert – unter deren Herrschaft nebenbei bemerkt eine Hungersnot (Holodomor) verursacht wurde, die heute international als Völkermord anerkannt ist und ca. 3.5 Millionen Menschenleben kostete.

Ihre Anfänge hat die Ukraine jedoch im späten 9. Jahrhundert im „Kiewer Rus“ – einem Großreich, das lange von einer Fürstendynastie des Stammes Rus beherrscht wurde. Die Zeit des Kiewer Rus war geprägt vom Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Kulturen und erreichte aufgrund von regem Handel im 10. Jahrhundert seine Blütezeit. Im Laufe des 11. und 12. Jahrhundert zerfiel dieses Großreich schließlich und das Gebiet der heutigen Ukraine fiel weitestgehend unter die Herrschaft der Mongolen. 

So richtig kompliziert wird es aber erst jetzt, deshalb vereinfacht: Im 14. Jahrhundert gehörten vor allem nordöstliche Teile der heutigen Ukraine zum Großfürstentum Litauen, südliche Teile standen unter der Herrschaft Polens. 1569 gründete sich dann der Staat Polen-Litauen, und beide Teile standen fortan unter polnischem Machteinfluss. Im 16. Jahrhundert gab es innerhalb Polens große politische Unruhen, vor allem unter den Bauern – nach einem Volksaufstand und einem daraus resultierenden Machtvakuum begannen schließlich Polen und das russische Zarenreich gegeneinander Krieg zu führen. Das Gebiet der Ukraine zerfiel in einen kleinen polnischen und einen dominanteren russischen Teil. Die Strapazen der Zugehörigkeit hatten hier allerdings kein Ende. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die Territorien im Nordwesten zwischen Russland und dem Habsburgerreich aufgeteilt. Während in den russischen Gebieten ein kulturelle, soziale und politische Anpassung an Russland stattfand, wurde den Menschen im Territorium der Habsburger eine Entfaltung ihrer eigenen Kultur, Sprache und Tradition ermöglicht.

Die Frage der nationalen Identität.

Welchem Land, beziehungsweise welcher Kultur man sich zugehörig fühlt und welche Werte und Traditionen man in diesem Zusammenhang lebt, war im Laufe der Geschichte Auslöser für so manche Konflikte. Auch in der Ukraine spielt die Frage der nationalen Zugehörigkeit bis heute eine wichtige Rolle. Die kulturelle Anpassung an Russland, die im 18. Jahrhundert in einem Teil der Ukraine stattfand und die gegensätzliche Entwicklung einer eigenen nationalen Identität und Kultur im anderen Teil sind wohl die Wiege dieser Konflikte. Vor allem im Territorium des Habsburger Reichs bildeten sich im 18. und 19. Jahrhundert erste Formen einer eigenen ukrainischen Identität.

Mit dem Ende der Habsburger Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg 1918 und den Unruhen der Februarrevolution 1917 in Russland wurde das Gebiet der heutigen Ukraine einmal mehr neu aufgeteilt. Long Story short: Eine provisorische Regierung rief am 20. November 1917 die ukrainische Volksrepublik aus – die Ukraine als unabhängiger Staat war geboren. Alt wurde sie aber nicht.

Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik.

Die provisorische Regierung in der Ukraine war nicht lange in der Lage, an der Macht zu bleiben. Vor allem im östlichen Teil konnten sozialistische Mächte die Oberhand gewinnen. 1919 war die gesamte östliche Ukraine inklusive Kiew unter der Kontrolle der Kommunisten. 1922 wurden diese Territorien in der Ost- und Zentralukraine vollständig in die "Ukrainische Sozialistische Sowjetunion" umbenannt. Zwar kam es Anfang der 1920er zu einem erneuten Aufleben des Nationalitätenbewusstseins innerhalb des Gebiets der sowjetischen Ukraine, so wurde Ukrainisch beispielsweise als Amtssprache anerkannt, aber diese Entwicklung hielt nicht lange an. Mit der Machtergreifung Josef Stalins und seiner Russifizierungspolitik wurden sämtliche Zugeständnisse wieder aufgehoben. Und nicht nur das: Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage der Sowjetunion und dem extremen Versorgungsproblem wurden systematisch private Bauernhöfe verstaatlicht.  Davon war vor allem das Gebiet der Ukraine betroffen. Die 3.5 Millionen Todesopfer durch die von der Sowjetunion geduldeten, wenn nicht sogar unterstützten Hungersnot wurden bereits erwähnt.

Auch vom Zweiten Weltkrieg blieb die Ukraine nicht verschont – das Gebiet lag genau an der Ostfront und wurde dementsprechend Schauplatz der kriegerischen Handlungen. 

Ukrainischer Nationalismus.

Ab den 1940er Jahren, also noch während des Zweiten Weltkriegs gewannen nationalistische Bewegungen in der Ukraine erneut an Zustimmung. Nach dem Krieg waren die Menschen in der Ukraine bettelarm, das Gebiet fast zur Gänze zerstört. Das Versäumnis der sowjetischen Regierungschefs, eine Verbesserung der Lage zu schaffen, war wohl auch Grund für den immer größer werdenden Widerstand gegen die sowjetische Führung. Bei den ersten freien Wahlen 1990 gewann die ukrainisch-nationalistische Gruppierung „Volksbewegung“ ein Viertel aller Wähler*innenstimmen – sie stellte eine deutliche Opposition zur sowjetischen Führung und bei einem Referendum 1991 entschieden sich 90 Prozent der Wähler*innen für die Gründung der Ukraine als Nationalstaat. Dies änderte nichts an der Tatsache, dass vor allem im Osten der Ukraine viele Menschen von der russischen Kultur und Tradition geprägt waren und bis heute sind. Ein Umstand, mit dem Wladimir Putin gepokert hat, als er seinen Truppen die Anweisung zum Angriffskrieg auf die Ukraine gegeben hat. 

© Maryia Plashchynskaya, pexels.com

 

Die Ukraine als Nation. 

1991 entstand die Ukraine nicht aus dem Nichts – ukrainische Kultur, Sprache und Tradition sind dort schon lange verankert. Als neuer Nationalstaat, der wirtschaftlich und politisch auf unsicheren Beinen stand, brauchte sie Unterstützung. Diese Unterstützung wurde von unterschiedlichen Machthabern in der Ukraine, je nach politischer Gesinnung und eigener nationaler Identität, abwechselnd bei Russland und in Westeuropa gesucht. Die Verfassung von 1996 garantiert allen Menschen, die auf dem Gebiet der Ukraine leben, eine ukrainische Staatsbürgerschaft, sicherte parallel allerdings auch den Schutz von (russischen) Minderheiten. In den letzten Jahrzehnten war die Ukraine immer wieder in politische Machtkämpfe verwickelt, die schlussendlich auch auf die gespaltene nationale Identität der Bevölkerung zurückzuführen sind. Armut, Korruption, Unzufriedenheit und die damit einhergehenden oftmals brutalen Demonstrationen in der Ukraine haben immer wieder die europäischen Nachrichtensendungen gefüllt. Die Frage der nationalen Identität ist dort bis heute eine sehr heiße. Ganz sicher wird diese Frage mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine – möge er enden wie er will – nicht beantwortet, sondern eher noch befeuert. Die Ukraine hatte wenig Zeit, die vergangenen turbulenten Jahrzehnte hinter sich zu lassen und sich von ihren Folgen zu erholen. Beim unerwartet starken Widerstand im Krieg ist an einen Untergang der ukrainischen Kultur allerdings wohl kaum zu denken.

 

 

Quellen:

Wehrschütz, Christian. Brennpunkt Ukraine. Gespräche über ein gespaltenes Land. Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien, 2014.

https://www.rnd.de/politik/

https://zeitschrift-osteuropa.de/

https://www.lpb-bw.de/

https://www.nzz.ch/

https://www.bundesheer.at/

https://osteuropa.lpb-bw.de/