Jugend in der Krise
Wie Jugendliche unter der Corona-Pandemie leiden
Hannah Metzker (20) und Sophie Rennhofer (17) Interview mit DSA Manuela LeoniJedes dritte Kind zeigt Hinweise auf eine psychische Belastung. Nach eineinhalb Jahren Pandemie ist das die traurige Bilanz der COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Und damit ist es leider noch nicht getan. Immer mehr Jugendliche verlieren den Anschluss in der Schule oder brauchen Antidepressiva. Wie die Situation in Krems ausschaut, welche Jugendlichen besonders in der Pandemie zu kämpfen haben und wohin man sich wenden kann, wenn alles irgendwann zu viel wird, haben wir Manuela Leoni, der Geschäftsführerin des Vereins Impulse Krems, in einem Interview gefragt.
Krems ist eine Schulstadt. Seit eineinhalb Jahren befinden sich die Schüler*innen nun aber in einem Hin und Her zwischen Homeschooling und Präsenzunterricht. Die Sozialarbeiter*innen des Vereins Impulse Krems stehen nach wie vor im direkten Kontakt zu den Jugendlichen. Welche Beobachtungen haben du und deine Mitarbeiter*innen seit Beginn der Pandemie in Bezug auf ihre Auswirkungen gemacht?
Ich bin im ständigen Austausch mit meinen Kolleg*innen und kann daher von ihren Erfahrungswerten berichten, dass – so wie viele Studien belegen – die meisten jungen Menschen gerade sehr viel Druck verspüren. Einerseits aufgrund des Homeschoolings, andererseits aufgrund der Situation im Allgemeinen. Es ist schwierig für sie, alles unter Dach und Fach zu bringen und auch die Eltern sind oft gestresst. Spannenderweise kommt gerade unser eigentliches Klientel der sogenannten „sozial benachteiligten Kinder“ relativ gut durch die Krise. Die haben bereits einige Coping-Strategien erlernt, während junge Schüler*innen aus der „Mittelschicht“ vermehrt von psychosozialen Beeinträchtigungen gezeichnet sind.
Wie wirkt sich diese psychische Belastung dann auf das Lernverhalten aus?
Teilweise verliert man den Anschluss, so wie man sich das in einer Krise vorstellt – wenn Ängste oder Depressionen in das Alltagsgeschehen Einzug halten, dann kann man sich natürlich nicht mehr so gut auf das Lernen oder die Schule konzentrieren. Man fühlt sich zum Teil auch alleine und im Stich gelassen. Vor allem die Jugendlichen, die keine zusätzliche Unterstützung von zuhause haben, bleiben auf der Strecke.
Wie genau verändert die Pandemie diese Kluft zwischen privilegierten Schüler*innen, die Unterstützung von den Eltern bekommen und sich beispielsweise Nachhilfestunden leisten können, und Schüler*innen, die weniger bis gar keine Unterstützung bekommen?
Die Kluft ist generell größer geworden. So wie die Pandemie in anderen Bereichen ein Brennglas ist, ist es auch hier ein Brennglas. Gerade bei wirtschaftlich benachteiligten Kindern, bei denen vor allem am Anfang Ressourcen (Laptop, Arbeitsplatz, etc.) gefehlt haben, ist das Homeschooling natürlich auf der Strecke geblieben. Wenn man dann auch Eltern hat, die der Sprache nicht mächtig sind oder aufgrund von Erkrankungen selber mit anderen Dingen beschäftigt sind, dann sind die Kinder ohne Unterstützung oftmals weg vom Fenster. Da dann wieder einzusteigen ist schwierig. Auch meine Kolleg*innen vom Jugendcoaching und AMS-Statistiken bestätigen, dass es vermehrt Jugendliche gibt, die „im Nirvana verschwinden“.
Wie wirken sich diese Herausforderungen (Lockdowns, Kontaktreduktion, …) auf die Arbeit mit den Jugendlichen aus?
Wir arbeiten rund um die Uhr in verschiedenen Settings. Wo man früher eine Gruppe von Jugendlichen bedienen konnte, können wir jetzt maximal in Kleingruppen arbeiten. Während den Ausgangsbeschränkungen waren sowieso nur Einzelgespräche oder Gespräche in der virtuellen Welt möglich. Gerade im ersten Lockdown wurde im Jugendzentrum noch viel virtuell abgewickelt. Das hat aber mit Lockdown zu Lockdown abgenommen, weil es die Jugendlichen schlichtweg nicht mehr interessiert.
Lässt sich diese Arbeit im Online-Setting annähernd mit der direkten Arbeit vergleichen?
Nein, keinesfalls. Das war eine Maßnahme zum Kontakthalten. Das Problem dabei ist, dass wir aufgrund der verschiedenen Schutzmaßnahmen nicht mehr so niederschwellig sind wie früher. Das ist bei uns gerade ein großes Handicap. Durch die Pandemie sind viele Jugendliche außerdem leider nicht mehr im öffentlichen Bereich anzutreffen. Deshalb verlieren wir zunehmend auch Jugendliche im „Nirvana“. Da erfahren wir dann über Freunde, dass sie nur noch zuhause sitzen und nichts mehr machen.
Als sich die Situation mit den psycho-somatischen Krankheiten zugespitzt hat, waren die Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrien und Psychotherapien (KJPPs) überfüllt. Jugendliche, die suizidale Gedanken hatten, sind schlichtweg auf der Straße gestanden und wurden nirgendwo adäquat aufgenommen. Die KJPPs haben nur begrenzte Plätze und haben versucht nach bestem Wissen und Gewissen so viele Kinder wie möglich aufzunehmen, aber die, die keinen Platz bekommen haben, sind quasi wie eine tickende Zeitbombe durch die Gegend gelaufen. Diese Tatsache bindet Ressourcen. Gerade in der mobilen Jugendarbeit, wo wir es gewohnt sind, mit Gruppen zusammenzuarbeiten, sind wir auf eine Beratungs- und Begleitungseinrichtung geschrumpft. Das klassische Streetwork findet daher aktuell kaum mehr statt.
DSA Manuela Leoni, Verein Impulse Krems
Würdest du sagen, dass es eine bestimmte Altersgruppe bei den Jugendlichen gibt, die von der Krise besonders betroffen ist?
Nein, würde ich nicht. Das ist eher vom sozialen Umfeld, also in welche Schulen sie gehen und wie sie vom Familiensystem aufgefangen werden, abhängig. Was während Corona zunehmend ein Problem geworden ist, ist Schulverweigerung und Schulangst und da gibt es schon in der Volksschule Betroffene.
Zeigt sich bei den Jugendlichen auch Angst vor dem Virus selbst?
Die Angst vor der Krankheit besteht vor allem dann, wenn auch das Umfeld ängstlich ist. Kinder leben davon, dass sie einen sicheren Halt von Zuhause und von ihrem sozialen Umfeld erleben. Die wenigsten äußern die Angst vor dem Virus aber direkt. Grundsätzlich äußern Jugendliche selten ganz direkt, wie es ihnen geht und was sie beschäftigt. Man sieht das in erster Linie an ihren Reaktionen und Verhaltensweisen. Wenn wir Erzählungen von Angst vor der Krankheit sehen, dann in erster Linie von Jugendlichen aus gut-bürgerlichem Haus. Aber auch bei denen äußern es vor allem die, wo das familiäre Setting auch wackelt.
Wie traumatisch ist die Situation für Jugendliche, die davor bereits unter psychischen Erkrankungen gelitten haben?
Es ist natürlich ein Verstärker. Die, die vorher schon psychisch instabil sind, haben jetzt natürlich noch größere Probleme. Wobei wir bemerken, dass vor allem – das ist jetzt nicht direkt auf die psychische Gesundheit bezogen – Jugendliche, die sozial benachteiligt sind und beispielsweise wegen ihrem Migrationshintergrund am Rande der Gesellschaft stehen, einigermaßen gut durch die Krise kommen.
An welchem Verhalten kann man denn erkennen, dass die Belastung und der Druck zu viel wird?
Das ist multifaktoriell und kann bei Ritzen und übermäßigem Konsumverhalten anfangen und bis hin zu suizidalen Gedanken, Ängsten, Depressionen und völligem Rückzug oder Abschottung alles umfassen. Auch Schlafstörungen können vorkommen.
Wohin kann man sich wenden, wenn man bei sich selbst merkt, dass der Druck zu viel wird?
Da gibt es viele Möglichkeiten: die Kummernummer, Beratungsstellen, niederschwellige Jugendarbeit – die Frage, die sich da allerdings immer stellt, ist, inwiefern Betroffene es überhaupt schaffen, sich dorthin zu wenden. Da gehört schon eine gewisse Kraft und Kompetenz dazu. Umso niederschwelliger die Angebote sind, desto leichter können sie von Jugendlichen angenommen werden. Und damit meine ich nicht Schulpsycholog*innen (wie von der Politik oftmals vorgeschlagen), die natürlich auch wichtig, aber aus meiner Sicht absolut nicht niederschwellig sind, sondern direkte Jugendarbeit beispielsweise an Tankstellen oder anderen „Hotspots“.
Welche positiven Anregungen hast du für Jugendliche?
Das ist schwierig zu beantworten, weil es „die Jugendlichen“ nicht gibt. Es gibt Jugendliche, die gut durch die Krise kommen und dadurch sogar gewinnen. Ich glaube aber, dass es in jedem Fall verschiedene Möglichkeiten gibt, um Unterstützung zu bekommen. Schön ist es, wenn man die Offenheit nicht verliert, also auf Menschen zuzugehen und sich auf andere einzulassen. Sei es die Freundin, ein Jugendarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin. Eine wichtige Botschaft ist auch, dass man nicht alleine ist. Es geht momentan gerade vielen Menschen sehr, sehr schlecht. Es gibt keine Familien, die aktuell gerade nicht an ihre Grenzen stoßen und alle Bereiche im Leben sind gerade herausfordernd. Vieles verändert sich gerade, aber Veränderung kann auch immer eine Chance sein. Insofern wünsche ich mir, dass die vielen gut aufgestellten Jugendlichen, die es gibt und die gute psychische Kompetenzen haben, auch ein bisschen auf die schauen, die aktuell gerade nicht alles so im Griff haben. Dann werden wir das gemeinsam schaffen.