März 2022

Krieg auf Knopfdruck

Wie schaut das Schlachtfeld der Zukunft aus?

Hannah Metzker (20) studiert Geschichte und Politikwissenschaft

Egal ob mit Schwert von Angesicht zu Angesicht, mit Speeren zu Pferd, mit Kanonen oder durch das Visier einer modernen Sniper Gun – Menschen haben sich schon immer der neuesten technischen Möglichkeiten bedient, um sich gegenseitig massenhaft umzubringen, um gegeneinander Krieg zu führen. Doch mit der Digitalisierung, die im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts rasant an Fahrt aufgenommen hat, betritt ein weiterer Akteur das Schlachtfeld: der Algorithmus und die an ihn gekoppelten Computernetzwerke.

Vor rund 10.000 Jahren begannen Menschen, ihr nomadisches Leben hinter sich zu lassen und mit Ackerbau und Viehzucht sesshaft zu werden. Und genau an diesem Punkt beginnt die Geschichte des Krieges, so wie wir ihn heute kennen. Denn wenn man Landfläche als die eigene deklariert, so sieht man sich auch im Recht, dieses Gebiet gegen andere Eindringlinge zu schützen, beziehungsweise das eigene Gebiet zu vergrößern. Schnell entwickelten Menschen immer bessere und zielsicherere Waffen, um sich im Kampf um ihr Gebiet gegen den Gegner behaupten zu können. Während Schlachten in der Antike vergleichsweise wenige Opfer forderten – die Verluste in der Schlacht bei Marathon 490 v. Chr., bei der die Athener über die Perser siegten, werden auf 6.500 bis 7.000 Mann geschätzt. Im zweiten Punischen Krieg kamen bei der Schlacht von Cannae rund 78.000 Kämpfer ums Leben. Vergleicht man das mit Zahlen aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg, stellt man fest, dass aufgrund der Weiterentwicklung von Waffen und beispielsweise dem Einsatz von Gas im Kampf gegen den Feind, deutlich mehr Menschen im Krieg ihr Leben ließen: Alleine in der Schlacht an der Somme 1916 im Zuge des Ersten Weltkriegs starben zwischen einer halben und einer Million Kämpfer (genaue Zahlen variieren stark und hängen von der Zählart ab) im Gefecht oder an ihren Verletzungen.

Bei all diesen Zahlen und dem Gedanken an die Schmerzen und Leiden, die Kriege verursachen, ist die Frage nach dem Sinn des Krieges durchaus berechtigt. Der Historiker Ian Morris macht dabei auf ein verzwicktes Paradoxon aufmerksam: Kriege haben die Welt sicherer und reicher gemacht. Denn wenn man sich die vergangenen 10.000 Jahre der Menschheitsgeschichte anschaut, bemerkt man, dass das Führen von produktiven Kriegen immer größere Imperien geschaffen hat, die im Idealfall für Frieden und Sicherheit innerhalb ihres eigenen Reiches sorgten. Sobald ein Imperium jedoch anfängt, unproduktive Kriege zu führen, also Kriege, die nicht für mehr Sicherheit und Reichtum sorgen, so wird dieses Imperium früher oder später daran zugrunde gehen. 

 

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Zwischen der Schlacht bei Marathon im antiken Griechenland und der Schlacht an der Somme im Frankreich des 20. Jahrhunderts liegen 2.406 Jahre. Das Führen von produktiven Kriegen hat im Großen und Ganzen die Gesellschaften zwar sicherer, friedlicher und reicher gemacht, die Kriegsführung selbst wurde dadurch allerdings auch immer effektiver. Und in den letzten 105 Jahren, die seit der Schlacht an der Somme vergangen sind, haben sich die Methoden des Krieges und seine Werkzeuge schneller weiterentwickelt als je zuvor. Der Kalte Krieg hat zur wechselseitigen Optimierung der Atombombentechnik geführt und Ländern die Möglichkeit gegeben, auf einen Schlag mehrere Tausend Menschen zu töten und ganze Landschaften für Tausende von Jahren zu verwüsten und unbewohnbar zu machen. Die beiden Atombomben, die die Vereinigten Staaten auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen, töteten 150.000 Menschen. Die Technik der atomaren Kriegsführung verbesserte sich in Windeseile und die 1955 präsentierte Wasserstoffbombe hat eine solche Kraft, dass sie im Umkreis von fünf Kilometern alle Menschen töten und alle Gebäude dem Erdboden gleichmachen würde. Auch noch die Menschen im Umkreis von 18 Kilometern würden schwere Verletzungen davontragen. Dieses Wissen lässt einen unangenehmen Schluss zu: Ein Atomkrieg mit diesen Wasserstoffbomben könnte in kürzester Zeit große Teile der Menschheit ausrotten. Den Machthabern der Welt ist diese Tatsache durchaus bewusst. Ein Krieg, bei dem die ganze Menschheit ausgelöscht werden würde, wäre aber, nach dem Prinzip von Ian Morris, kein produktiver Krieg mehr, schließlich würde er nicht in mehr Sicherheit und mehr Reichtum enden. Aus diesem Grund verschiebt sich der Kriegsschauplatz seit den letzten 20 Jahren auf einen neuen Raum: den Cyberspace.

Digitale Technologien wurden von Menschen entwickelt, um menschliche Arbeit effizienter und produktiver zu machen, beziehungsweise durch Maschinen zu ersetzen. Dieser Trend hat um die militärische Entwicklung keinen Bogen gemacht. Cyber-Angriffe auf staatliche Institutionen, Regierungen oder militärische Systeme sind keine theoretischen Überlegungen der Zukunft, sondern stellen seit den 2000er Jahren die Realität der modernen Kriegsführung dar. Weil diese Angriffe auch auf Systeme zur Erhaltung öffentlicher Sicherheit (Ampelsysteme, Flugfunksysteme, …) oder wichtige Infrastruktur (Energieversorgung, Krankenhäuser, …) abzielen können, steht außer Frage, dass Cyber-Angriffe selbst für Zivilpersonen gefährlich werden können. Außerdem können sie für politische Propagandazwecke oder zur Manipulation von Finanzmärkten missbraucht werden.

2007 kam es zu einem der ersten bekannten Cyber-Angriffe auf staatliche Einrichtungen. Als Estland die Statue „Bronze Soldier”, welche an die Befreiung Estlands von den Nazis durch die Sowjetunion erinnert hat, an einen weniger besuchten Ort verlagern wollte, kam es zu heftigen pro-russischen Protesten. Diese Proteste endeten schließlich mit mehreren Wellen von virtuellen Attacken auf das estnische Parlament, den Präsidenten, die Polizei und sämtliche Medienhäuser.

Drei Jahre später – 2010 – zielte die Cyber-Attacke „Stuxnet“, durchgeführt von den USA und Israel, unter anderem auf ein iranisches Kernkraftwerk ab und sollte somit das iranische Atomwaffenprogramm ruinieren. Dieser Computerwurm, mit dem die Cyber-Attacke durchgeführt wurde, griff das System der Atomanlagen an und sorgte für mechanische Fehler im Betrieb.

Cyber-Angriffe haben allerdings längst auch europäische Grenzen überschritten. Die „Sofacy Group“, eine Hackergruppe des russischen Militärgeheimdiensts GRU, unternahm seit ihrer Gründung 2004 mehrere Angriffe auf EU- und NATO-Mitgliedsstaaten. 2015 kam es beispielsweise zu Angriffen durch diese Hackergruppe auf Server des Deutschen Bundestags und im Zeitraum 2015 bis 2016 wurden Server des dänischen Außen- sowie Verteidigungsministeriums gehackt. Auch im schon seit Jahrzehnten bestehenden Ukrainekonflikt, der sich 2014 in einen Krieg verwandelte und vor kurzem erneut eskalierte, kam es in der Vergangenheit zum Einsatz von Cyber-Attacken durch die russische „Sofacy Group“. 

 

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Zwischen 2009 und 2018 führten Russland und China über 30 Prozent aller dokumentierten staatlichen Cyber-Angriffe durch, ein Großteil davon zielte auf die USA ab. Alleine Russland führte Cyber-Attacken auf acht verschiedene EU-Länder durch. Diese Zahlen zeigen, dass die Aushandlung nationenübergreifender Konflikte kein utopischer Traum der fernen Zukunft ist, sondern längst in der realen Welt der militärischen Angriffe angekommen ist. Umso wichtiger ist es, dass Staaten präventive Maßnahmen ergreifen, um sich möglichst erfolgreich vor diesen Angriffen zu schützen und im Ernstfall darauf vorbereitet zu sein. 2001 hat die EU erstmals Cyber-Kriminalität als reale Gefahr anerkannt und während mit der „European Security Strategy“, welche 2008 veröffentlicht und seither mehrmals überarbeitet wurde, zwar erste Schritte in Richtung EU-weiter Cyber-Sicherheit gemacht wurden, sind die Lücken, die auf diesen Gebieten bei den meisten EU-Staaten noch bestehen, nicht zu übersehen.

 

 

Quellen:

Abdyraeva, C. (2020). Cyber Warfare. In The Use of Cyberspace in the Context of Hybrid Warfare.: Means, Challenges and Trends (pp. 15–20). OIIP - Austrian Institute for International Affairs. URL: https://www.jstor.org/stable/resrep25102.7?seq=1 .

Aday S., Andžāns M., Bērziņa-Čerenkova U., Granelli F., Gravelines J., Hills M., Holmstrom M., Klus A., Martinez-Sanchez I., Mattiisen M., Molder H., Morakabati Y., Pamment J., Sari A., Sazonov V., Simons G., Terra J. (2019). Hybrid Threats: 2007 cyber attacks on Estonia. in Hybrid Threats. A Strategic Communications Perspective. NATO Strategic Communications Centre of Excellence. URL: https://stratcomcoe.org/publications/hybrid-threats-2007-cyber-attacks-on-estonia/86 .

Morris, Ian (2013). Krieg. Wozu er gut ist. Campus Verlag: Frankfurt. Übersetzt vom Campus Verlag aus dem Englischen. Originaltitel: War. What is it good for?.

Steffelbauer, Ilja (2017). Der Krieg. Von Troja bis zur Drohne. Christian Brandstätter Verlag: Wien.

Yasin, B. M. (2020). Cyber Warfare. In Hybrid Warfare: Countering the Impending Threats (p. 2–4). Sustainable Development Policy Institute. URL: http://www.jstor.org/stable/resrep29111.5 .

Robinson, Joe (2021). Cyberwarfare statistics: A decade of geopolitical attacks. Website of Privacy Affairs, online, URL: https://www.privacyaffairs.com/geopolitical-attacks/