September 2021

Die Olympischen Spiele

Sport im Schatten von Politik und Menschenrechtsverletzungen

Hannah Metzker (20) studiert Geschichte und Politikwissenschaft

Diesen Sommer haben die (um ein Jahr verschobenen) Olympischen Spiele 2020 in Tokyo stattgefunden. Für viele Sportler*innen und Sportfans sind die Olympiaden ein aufregendes Ereignis, das alle vier – und wenn eine Pandemie dazwischen kommt, ausnahmsweise auch mal alle fünf – Jahre die Medienaufmerksamkeit auf sich zieht. Auch für Österreich war diesmal einige Medaillen dabei. Die Fotos der Sieger*innen – aus irgendeinem Grund nehmen die Sportler*innen darauf ihre Medaillen immer in den Mund – gehen um die Welt und werden von Normalsterblichen bewundert. Doch hinter dem Prestige der Olympischen Spiele und den strahlenden Goldmedaillen verstecken sich Schattenseiten, deren mediale Aufmerksamkeit oft zu kurz kommen.

Sklavenarbeit zwischen Kakerlaken und Dreck

Für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 versammelten sich 11.238 Athlet*innen aus 207 Ländern, um sich in den 42 unterschiedlichen Disziplinen zu messen. Für ein solches Sportevent müssen selbstverständlich einige Vorkehrungen getroffen werden: Die Athlet*innen, ihre Coaches, Physiotherapeut*innen, etc. müssen in einem großen Wohnkomplex – dem „Olympischen Dorf“ untergebracht werden und die Sportanlagen für die verschiedensten Disziplinen – vom Rudern übers Reiten bis zum Turnen – müssen errichtet werden.

Die brasilianischen Bauarbeiter*innen, die all das aus dem Boden stampfen mussten, haben vom Glanz der Goldmedaillen nicht viel mitbekommen – sie arbeiteten für Hungerlohn und lebten in menschenverachtenden Bedingungen. Die Immobilienfirma „Brasil Global Serviços“ wurde mit dem Bau der großflächigen Wohnanlage „Ilho Pura“ – dem Olympischen Dorf in Rio – beauftragt. Die Bauarbeiter*innen, die von dieser Firma angestellt waren, arbeiteten 12 bis 13 Stunden pro Tag und erhielten stolze 300 Reais – umgerechnet sind das ungefähr 50 Euro – im Monat. In ihrer eigenen Unterkunft lebten die Bauarbeiter*innen in unmenschlichen Bedingungen auf Augenhöhe mit Ratten und umgeben von Kakerlaken und Dreck. Zeitweise lebten 21 Arbeiter*innen in einer Unterkunft – weit weg von den Luxusapartments, die sie für die Athlet*innen erbauten. Nach den Olympischen Spielen wurden diese Apartments hochpreisig verkauft. Das ist aber nicht alles – um die Anfahrt der Athlet*innen vom Olympischen Dorf zu den Sportstätten zu ermöglichen wurden im Vorfeld 70.000 Menschen zwangsumgesiedelt.

Rio de Janeiro ist allerdings kein Einzelfall. Ungefähr 100 Tage vor der Eröffnung der Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 trifft der Gouverneur der Region Krasnodor, zu der die Stadt Sotschi gehört – folgende Entscheidung: Auf der olympischen Baustelle befinden sich zu viele illegale Gastarbeiter – geschätzt 40.000 aus verschiedensten Nachbarländern Russlands – diese müssen bis zu Beginn der Spiele verschwinden. Sie werden von ihm „nachhause geschickt“ – Brigaden machen in den Folgetagen Jagd auf diese Gastarbeiter. Des Öfteren kam es zu massenhaften Festnahmen. Diese Gastarbeiter arbeiteten, ähnlich wie in Rio 2016, unter unmenschlichen Bedingungen für schlechte Bezahlung. Ohne ihnen wäre die rechtzeitige (und leistbare) Fertigstellung der Sportstätten wohl kaum möglich gewesen, wenn man bedenkt, dass Sotschi vor Olympia keine einzige Sportstätte hatte.

Man könnte die Verantwortung jetzt natürlich getrost auf die einzelnen Länder, beziehungsweise die Baufirmen schieben. Damit macht man es sich jedoch sehr einfach. Als eine der größten Sportveranstaltungen weltweit – laut Hochrechnungen der Veranstalter wurden die Olympischen Winterspiele in Sotschi von über vier Milliarden Menschen verfolgt, Sommerspiele bekommen vermutlich noch mehr Aufmerksamkeit – stehen die Olympischen Spiele in einer Verantwortung gegenüber den Arbeiter*innen, ohne die die Austragung der Wettbewerbe nicht möglich wäre. Leichtfertig hinzunehmen, dass Einwohner des jeweiligen Landes zugunsten einiger weniger reichen Profiteure ausgebeutet werden, hat nicht viel mit dem Sportsgeist zutun, den Olympia vorgibt zu haben – das ist eine moderne Form von Sklaverei.

Sport ist hochpolitisch

Gerade in letzter Zeit werden vermehrt Stimmen laut, die politische Statements von Sportler*innen verurteilen und verlangen, Sport und Politik zu trennen. Das ist unmöglich – Politik war, ist und wird immer Teil von Sport sein. Überall wo Menschen aus unterschiedlichen Nationen mit verschiedenen Weltanschauungen aufeinandertreffen, ist Konflikt vorprogrammiert. So zu tun, als wäre Sport unpolitisch, wäre also schlichtweg falsch. Im Gegenteil – Sport wurde in der Vergangenheit oft dazu verwendet, politische Meinungen zu verbreiten und eine gewisse Weltanschauung sowohl nach außen, als auch nach innen als besonders erfolgreich zu verkaufen.

Das beste Beispiel sind dabei wohl die Olympischen Sommerspiele 1936, die in Berlin stattfanden. Hitler hatte bereits seit drei Jahren die politische Macht inne und missbrauchte die Olympischen Spiele zur Selbstinszenierung und Propaganda. Der olympische Gedanke stand dabei im klaren Gegensatz zur Rassenideologie der Nationalsozialisten. Das Internationale Olympische Komitee verharrte, nach langer Überlegung, jedoch auf der Entscheidung, die Olympiade trotz der Brutalität des NS-Regimes in Deutschland auszuführen. Zehn Kilometer vom Olympiastadion entfernt war der Bau des Vernichtungslagers Sachsenhausen gerade in vollem Gange. Der Erfolg, den die deutschen Athlet*innen bei diesen Olympischen Spielen verzeichneten, diente den Nationalsozialisten als Beweis für die „Überlegenheit der deutschen Rasse“.

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Ein weiteres Beispiel sind wohl auch die Olympischen Spiele 1964 in Tokyo, wo der das Internationale Olympische Komitee Südafrika von den Spielen ausschloss. Aufgrund der Apartheid (= staatlich organisierte Rassentrennung, siehe DasHelmut Ausgabe 68), die bis 1994 in Südafrika vorherrschte, verabsäumte die Nation es abermals, schwarze Athlet*innen für die Wettbewerbe zu nominieren. Die Ausrede, es gäbe keine schwarze*n Athlet*innen auf Olympia-Niveau, lies der Präsident des Olympischen Komitees 1964 nicht mehr gelten.

Auch die Spiele in Tokyo dieses Jahr waren nicht frei von Politik – aufgrund der Kämpfe zwischen Israel und Palästina, die im Mai 2021 stattfanden, verweigerten zwei Judokas aus den muslimischen Ländern Algerien und Sudan ihren Judo-Kampf gegen den Israeli Tohar Butbul.

Die Olympischen Spiele waren also schon immer ein politisches Event und wurde im Laufe der Geschichte immer wieder von politischen Akteuren – das können sowohl Politiker*innen, als auch Athlet*innen selbst sein – instrumentalisiert. Dabei fällt jedoch eines auf: Während das Olympische Komitee einigermaßen frei entscheiden darf, welche politischen Statements sie setzen und aus welchen politischen Gründen sie Maßnahmen gegen bestimmte Nationen setzen, sind Athlet*innen in diesem Zusammenhang sehr eingeschränkt. Denn das Olympische Komitee verbietet politische Äußerungen bei Wettkämpfen oder Siegerehrungen. 

Nach dem bei den Olympischen Spielen 1968 zwei US-Sprinter bei der Siegerehrung ihre Faust hoben, um auf die Diskriminierung der Afroamerikaner aufmerksam zu machen, werden sie vom Verband aus dem Team ausgeschlossen und nachhause geschickt. Auch nachdem in diesem Jahr die US-Kugelstoßerin Raven Sounders auf der Siegerehrung ihre Arme über dem Kopf kreuzte, um ein „Symbol der Solidarität an all die Unterdrückten auf der Welt“ zu setzen, wie sie später gegenüber den Medien sagt, erwarten sie nun Sanktionen vonseiten des Olympischen Komitees. Das Komitee tut sich allerdings immer schwerer, die politischen Statements der Athlet*innen zu unterbinden, denn sie haben in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Immer öfter setzen sich Sportler*innen auf der internationalen Bühne, die Olympia bietet, für Gleichberechtigung, gegen Rassismus und auch gegen Doping ein.

 

Quellen:

https://www.deutschlandfunk.de/olympia-2016-arbeitssklaven-im-olympischen-dorf.1346.de.html?dram:article_id=330913

https://de.euronews.com/2016/08/08/die-schattenseiten-der-olympischen-spiele

https://www.tagesspiegel.de/sport/winterspiele-in-sotschi-olympias-sklaven-machen-es-moeglich/9286256.html

https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/olympische-baustellen-die-sklaven-von-sotschi-12622534.html

https://www.humanrights.ch/de/ipf/archiv/international/nachrichten/moderne-formen-sklaverei?gclid=CjwKCAjw3riIBhAwEiwAzD3Tiami0xzmv5kYtfHHXobjiP0K2-fneTmKks3tZIw38WDMnyyWWFHywRoCRo8QAvD_BwE

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/141881/olympische-sommerspiele-in-berlin-1936-01-08-2012

https://www.sueddeutsche.de/sport/dunkle-stunden-bei-olympia-schattenseiten-der-spiele-1.1424044

https://www.derstandard.at/story/2000128459320/naechster-skandal-im-judo-zweiter-gegner-von-israeli-butbul-trat

https://www.nzz.ch/sport/olympia-2021-saunders-droht-nach-protest-vom-iok-eine-strafe-ld.1638509

https://www.spiegel.de/sport/olympia/die-ioc-richtlinie-nimmt-sportlern-das-recht-auf-meinungsaeusserung-a-f3b99791-24c8-48fb-92d6-9ae63d97ef10