März 2022

Sex, Drugs and Rock’n’Roll

Aber nicht immer freiwillig

Hannah Metzker (20) studiert Geschichte und Politikwissenschaft

Während einige Jugendliche die Partywochenenden in den verschiedensten Clubs der Stadt während der Coronapandemie wohl vermisst haben, haben andere in gewisser Weise von den Schließungen der Nachtlokale profitiert: eine vollere Geldbörse, eine reduzierte Anzahl an Kater-Sonntagen und – vor allem unter Nachtclubbesucherinnen – weniger Sorge um sexuelle Belästigung. Gerade in Nachtclubs werden oftmals K.O.-Tropfen genutzt, um Opfer für potenzielle sexuelle Übergriffe „gefügig“ zu machen. Auch im Zusammenhang mit vermehrten Vorfällen in Großbritannien und den damit einhergehenden Boykotts von Clubs durch Besucherinnen kam es in letzter Zeit in den sozialen Medien zu einer verschärften Auseinandersetzung mit dem Thema. In Interviews haben die niederösterreichische Kriminalbeamtin Carmen Palmetzhofer und der Geschäftsführer des FTC-Forensisch-Toxikologischen Labors in Wien Dr. Wolfgang Bicker ihre Expertise mit uns geteilt.

 

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Zuallererst ist es wohl wichtig, zu klären, was überhaupt unter „K.O.-Tropfen“ verstanden wird. Denn der umgangssprachliche Begriff „K.O.-Tropfen“ beschreibt laut Dr. Bicker nicht eine spezifische Substanz, sondern umfasst über 100 Wirkstoffe, die durch Verabreichung – beispielsweise über manipulierte Getränke – beim Opfer einen Zustand der Wehrlosigkeit auslösen können. Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Gangstörungen sind dabei nur die geringeren Beschwerden. Das Gefühl der Benommenheit kann über mehrere Stunden anhalten und auch ein tiefer Schlaf, der den „K.O.-Tropfen“ ihren Namen verliehen hat, zählt zu den bekannten Beeinträchtigungen. Kombiniert mit Alkohol oder illegalen Drogen aber auch durch eine Überdosierung kann es zu Atemlähmung kommen oder sogar tödlich sein. Im Nachhinein können oft Erinnerungslücken auftreten – nur einer der vielen Gründe, warum eine strafrechtliche Verfolgung und ein Gerichtsverfahren in diesen Fällen besonders schwierig ist. Umso wichtiger ist es, die Gefahr zu kennen und kritischen Situationen aus dem Weg zu gehen.

Auf Basis ihrer jahrelangen Erfahrung als Abteilungsinspektorin im Ermittlungsbereich Sexualdelikte des Landeskriminalamts Niederösterreich berichtet Carmen Palmetzhofer: „Situationen, bei denen K.O.-Tropfen verabreicht werden sind meist solche, wo mehrere Leute an einem Ort zusammenkommen und der Täter somit meistens unbemerkt agieren kann. In Clubs oder bei Veranstaltungen abgelenkt, nutzt der Täter Möglichkeiten, um solche Substanzen in ein Getränk zu geben. Daher wird von der Polizei geraten, keine offenen Getränke von unbekannten Personen anzunehmen. Generell sollte man auch sein Glas oder seine Flasche nicht unbeobachtet stehen lassen.“ Sie rät außerdem, bei erstem Auftreten der bereits genannten Symptome, Freunde oder Bekannte über den Zustand zu informieren, die Örtlichkeiten zu verlassen und umgehend ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gerade im Zusammenhang mit Sexualdelikten ist es wichtig, möglichst schnell Anzeige zu erstatten, damit die Substanzen noch nachgewiesen werden können.

Der toxikologische Nachweis, so Dr. Bicker, ist primär über Körperflüssigkeiten, beispielsweise Blut oder Urin, möglich. „Liegt der Vorfall schon länger zurück, kann auch eine Haaranalyse sinnvoll sein, wobei sich damit aber keine tagesexakte Aussage zur Substanzaufnahme treffen lässt.“ fügt Dr. Bicker weiter hinzu. Für eine strafrechtliche Verfolgung und potenzielle Verurteilung „dürfen keine Zweifel darüber bestehen, ob die Substanz in der Probe vorhanden ist oder nicht, sonst hält das vor Gericht nicht.“. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, das Zeitfenster zwischen Substanzaufnahme und Probenabnahme zu minimieren. Das bestätigt auch die Kriminalbeamtin Carmen Palmetzhofer. Für sie und ihre Kolleg*innen beginnt die Arbeit im Fall eines möglichen Sexualdelikts in der Regel mit der Befragung des Opfers. So wird ein Überblick über die Lage gewonnen und die Umstände des Übergriffs können protokolliert werden. Auch Frau Palmetzhofer unterstreicht die Wichtigkeit einer schnellen ärztlichen Abklärung und betont weiters: „Leider kommt es immer wieder vor, dass eine solche körperliche Untersuchung, welche in einem Krankenhaus durch Ärzt*innen durchgeführt wird, vom Opfer abgelehnt wird. Eine medizinische Abklärung stellt aber für die Aufklärung einer Straftat einen wesentlichen Beitrag in der Beweismittelfindung dar. Jedes Krankenhaus in Niederösterreich ist im Umgang mit Opfern von sexuellen Übergriffen geschult und die Ärzte leisten gewissenhafte Arbeit im Zuge ihrer Untersuchungen. Sobald alle Erhebungen abgeschlossen sind, entscheidet die Staatsanwaltschaft über eine Anklage.“ Laut ihren Aussagen handelt es sich bei den Tätern von polizeilich bekannten Sexualdelikten im Zusammenhang mit K.O.-Substanzen ausschließlich um Einzeltäter. 

Wichtig ist Frau Palmetzhofer auch, klarzustellen, dass es in den letzten Jahren statistisch gesehen zu sehr wenigen Fällen von angezeigten Sexualdelikten im Zusammenhang mit Beeinträchtigung durch K.O.-Tropfen gekommen ist. „In der Anzahl der angezeigten Sexualdelikte im Gesamten stellen K.O.-Tropfen-Fälle sogar einen verschwindend geringen Anteil dar.“ Nichtsdestotrotz bleibt die Sorge real.

Sowohl Dr. Bicker, als auch Kriminalbeamtin Palmetzhofer haben mehrmals betont, welchen Einfluss die ärztliche Untersuchung auf die strafrechtliche Verfolgung – und somit die Sichtbarmachung des Problems – haben kann. Leider scheint es unter Opfern noch immer große Hemmungen zu geben, wenn es um besagte ärztliche Untersuchungen geht, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit K.O.-Tropfen, sondern in Fällen von Sexualdelikten allgemein. Dies ist, in Anbetracht der psychischen und körperlichen Folgen eines sexuellen Übergriffs (oder eben auch einer unfreiwilligen Verabreichung von K.O.-Tropfen), sehr verständlich. Umso wichtiger ist es, vertieft über das Thema zu reden – beispielsweise mit Freund*innen – und darüber aufzuklären. Mit einigen Tricks kann man sich bis zu einem gewissen Grad vor solchen Übergriffen schützen und durch eine Sensibilisierung kann man im Ernstfall – sowohl als Opfer als auch als Zeug*in – schneller richtig reagieren.