Dezember 2022

Die unerwarteten Seiten des Fluchens

Reka Seitz (21) studiert Rechtswissenschaften in Wien

Fluchen ist gesellschaftlich nicht hoch angesehen, im Gegenteil. Manche sprechen sogar davon, dass deswegen eine „Verrohung der Sprache“ stattfinde. Aber was, wenn genau das nicht der Untergang, sondern vielleicht sogar der Ursprung der Sprache ist? Und weshalb schimpfen und fluchen wir überhaupt?

Die Wissenschaft der Malediktologie, also übersetzt in etwa „die Lehre von Schimpfen“, vereint mehrere wissenschaftliche Disziplinen in sich: bestimmte Zweige der Sprachwissenschaft und der Psychologie. Im Zentrum stehen Fragen nach dem Warum und den Auswirkungen des Schimpfens. Die Erkenntnisse sind durchwegs verblüffend. 

Urform des Sprechens?

Folgt man André Meininger vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin, so ist das Fluchen eine Urform des Sprechens. Fluchen ist auffallend simpel, selten beinhalten Kraftausdrücke grammatikalisch komplexe Konstruktionen, im Gegenteil. Fluchen und Schimpfen könnten sich aus Tierlauten entwickelt haben und dementsprechend ein erster Schritt zur Entstehung der menschlichen Sprache gewesen sein. 

 

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Messbare Auswirkungen des Fluchens

Reaktionen aufs Fluchen lassen sich messen: So zeigte eine Untersuchung 2013 aus Wales, dass das Aussprechen von tabuisierten Wörtern wie „shit“ zu einem erhöhten Hautleitwert (= elektrischen Leitfähigkeit der Haut) führen. Wurde in der Muttersprache geflucht, so waren die Reaktionen heftiger als beim Fluchen in einer Fremdsprache. Diese Reaktion aufs Fluchen, die auch die Amygdala – also ein Teil des Gehirns, der mit für emotionale Bewertungen und Gedächtnisbildung verantwortlich ist – stimuliert, zeigt weitere Auswirkungen: So können sich Menschen besser an Schimpfworte erinnern als an neutrale Aussprüche.

Was bringt Fluchen?

Fluchen hat unerwartete Vorteile für Menschen. So konnten Untersuchungen nachweisen, dass Fluchen Schmerzen lindern kann, die erste von der Keele University in Staffordshire: Die Proband*innen mussten ihre Hand in Eiswasser halten, was Schmerzen hervorrief. Jene, die dabei fluchten, hielten im Schnitt 40 Sekunden länger durch als jene, die neutrale Ausdrücke benutzten. Sie zeigten zusätzlich verminderte Schmerzwahrnehmung und erhöhten Herzschlag. Aber auch beim Sport kann Fluchen sich als nützlich erweisen: So zeigte eine Untersuchung der Universität Keele, dass die Kraft, mit der die Proband*innen bei Kraftproben mit der Hand zudrückten, höher ist, wenn sie zuvor Schimpfworte wie „fuck“ oder „shit“ benutzten. Bei weiteren Kraftübungen zeigte sich, dass die Proband*innen bis um zehn Prozent mehr Zeit durchhielten, wenn sie zuvor zehn Sekunden geflucht hatten. Auch gibt es Forschungen – wie jene von Nicole Daly (Universität Waikato, Neuseeland) – die nahelegen, dass gemeinsamer Slang und gemeinsames Fluchen bestimmte Gruppen enger zusammenschweißt. Das Fluchen erfüllt also auch eine soziale Funktion.  

Fazit

Fluchen mag noch nicht vielerforscht sein wie es andere Gebiete der Sprachwissenschaft und Psychologie sind, nichtsdestotrotz zeigt sich dieses oft als unzivilisiertes Verhalten eingestufte menschliche Handeln als praktisch in verschiedener Hinsicht. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass Fluchen seine Vorteile – und in manchen Situationen – auch seine Berechtigung hat.

 

 

Quellen:

https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/die-kraft-der-schimpfwoerter-warum-fluchen-gesund-ist

https://www.spektrum.de/news/malediktologie-fluchen-im-dienst-der-wissenschaft/1873969

https://www.deutschlandfunk.de/wissenschaft-des-fluchens-das-tabu-spielt-eine-ganz-grosse-100.html

https://medienportal.univie.ac.at/uniview/forschung/detailansicht/artikel/bist-du-deppert-vom-schimpfen-drohen-und-fluchen/

https://www.derstandard.de/story/2000134984419/humorvolles-schimpfen-kann-beim-krafttraining-helfen

https://www.derstandard.de/story/2000066509658/linguistin-wiener-meinen-derbe-aussprueche-meist-nicht-beleidigend